Angst vor morgen, warum ?

Wer uns weismachen will, er hätte noch nie in seinem Leben
Angst gehabt, dem glauben wir nicht. Die Angst gehört zum Leben
genauso, wie die Freude, die Hoffnung und der Mut. Es besteht
noch eine ungeklärte Wechselwirkung dieser allzu kreatürlichen
Gefühlsregungen in unseren Seelen. Dabei sind Freude, Hoffnung
und Mut noch die angenehmeren Begleiter unserer Tage und oft auch unsere Nächte.
Mit der Angst fertig zu werden ist nicht immer leicht. Menschen, die
sich nicht beherrschen können, erliegen ihrer großen Schwester:
Verzweiflung.Haben wir das Leben bekommen, um uns zu
ängstigen? Oder zu verzweifeln? Sind wir nicht verpflichtet, das
Leben zu bejahen trotz aller seiner Gefahren, Sorgen und Nöte
am eigenen oder fremden Leib, im eigenen oder fremden Land?
Wir wissen, dass jede Minute, jede Stunde und jeder Tag un-
wiederbringlich sind und unwiederholbar gewonnen oder verloren
werden. Dies gilt für den einzelnen Menschen genauso, wie für die
Gemeinschaft, in welche er gestellt ist oder sich selbst gestellt hat.
Die Angst ist die Vernichterin alles Lebenserhaltenden. Sie macht uns bange, führt uns in die Irre und läßt uns zu keinem positiven Ent-
schluss kommen. Oder sie führt kompensatorisch zu einem krank-
haften Leistungsdrang. Es gilt: sie zu erkennen, ihr zu begegnen
und sie zu überwinden.
Wenn wir uns ängstigen, sorgen wir uns um eigenes oder fremdes
Wohl, ohne eine Lösung der anstehenden Probleme vor Augen
zu haben. Wir sehen dieses Wohl infrage gestellt oder bedroht.
Obwohl wir doch schon oft mit der Angst konfrontiert wurden und die
kleinen oder großen Sorgen unsere Gedanken beherrschten, ge-
lingt es ihr doch immer wieder, von unseren Seelen Besitz zu er-
greifen und uns so auf eine Probe zu stellen, der wir in stets
wachsendem Maße durch die Entwicklung der Technik und die
zunehmende Brutalität in der Welt ausgeliefert sind.
Aber nicht die Weltangst soll hier erörtert werden, sondern die kleinen Sorgen des Menschen unseres Alltags, denen es gilt
ins Auge zu sehen, da sie sich uns meist nackt und ungeschminkt
offenbaren.
Wir ängstigen uns oder machen uns Sorgen um uns oder um
andere, wenn eine einschneidende Änderung im

Lebensrhythmus zu erwarten ist. Dieses kann vor der Verlobung,
der Eheschließung, vor oder nach der Geburt eines Kindes, vor
dem Wiedersehen nach längeren Trennungen, aber auch vor wichtigen Entscheidungen im Berufsleben ebenso der Fall sein, wie vor der Erwartung des Todes im eigenen oder bekannten
Familienkreis.
Die Frage geht nun dahin: was können wir tun, um diesen auf uns zukommenden Situationen zu begegnen ohne unser seelisches
Gleichgewicht zu verlieren und damit nicht der Angst Tür und Tor zu öffnen? Dieses ist wohl leichter gesagt als getan. Aber mit der inneren Gewissheit: dass die Zuversicht bisher jede Angst über-
wunden hat,kommen wir der Überwindung der eigenen Sorgen
und Ängste ein großes Stück näher!
Wer ein guter Künstler werden will, muß sich in der Kunst üben
bevor er sie beherrscht. Genauso steht es mit den Tugenden,
die zur Überwindung der Angst notwendig sind. Hierzu ge-
hören ein gesundes Selbstvertrauen ebenso, wie der Glaube
an den Sieg des Guten. Und diesen Glauben an den Sieg des Guten sollten wir in keiner Stunde unseres Lebens verleugnen!
Wir haben die Aufgabe, ja die Pflicht, durch ihn allein unsere Taten bestimmen zu lassen. Wir sollten uns darin üben uns
öfter am Tage über den Sinn der gegebenen Stunde klar zu
werden und uns darüber Rechenschaft abgeben, ob wir diese
Stunde als Geschenk betrachtet und positiv genutzt haben.
Wir sollten uns dazu anhalten, ganz systematisch Schritt
für Schritt die bewußte Ablösung von unseren Leidenschaften
zu erreichen, vom Lebensdurst und vom Strom unkontrollierter
Gedanken freizukommen. Das soll nicht heißen, dass wir die
Trauer nach etwas Verlorenem aufgeben müssen, sondern,
dass wir in die Trauer stets das Glück der Vergangenheit
einbeziehen und der Hoffnung und der Zuversicht in der Zu-
kunft weiten Raum einräumen, mit aller Kraft unseres Tempe-
ramentes. Und wenn wir diese Lebenseinstellung an andere
Menschen weitergeben und mit ihr unseren Weg gehen, warum
sollten wir dann Angst vor morgen haben?