Jugend und Alter vor gemeinsamen Aufgaben

Toleranz, Achtung, und Diskussionsbereitschaft verbinden die Generationen

Wenn ein Mensch erst einmal sechzig Jahre ist, oder darüber,
und nach seinen eigenen Worten "das Leben hinter sich hat"
und "zu nichts mehr nutze ist", ach Gott, wie könnte er sich
mit der jüngeren Generation unterhalten ? Es gibt doch keine
Berührungspunkte ! Oder doch ? Die Gepflogenheiten ver-
wandtschaftlicher Beziehungen werden gepflegt, gehegt.
Bei längeren Abständen der Trennung freudvoll erwartet,
bei kürzeren Abständen wird das Wiedersehen mit guten Vor-
sätzen gepflastert, wobei die ältere Generation sich meist
überlegt, was sie der jüngeren Generation zu bieten hätte:
an Weisungen und Mahnungen. Die jüngere Generation
möchte Freude schenken aus Dankbarkeit und, wenn sie Glück
hatte: die ältere Generation teilnehmen lassen am eigenen
Glück.
Aber das ist nicht immer leicht. Für beide Teile nicht, besonders
dann nicht, wenn man sich längere Zeit nicht gesehen hat und
an den Reifungen bzw. dem Älterwerden eines der Partner
nicht teilgenommen hat. Es ist immer wie ein neues Bekannt-
werden. Man versucht in das Wesen des anderen neu einzu-
dringen und ihn zu erforschen. Aber schon dabei sollte die
Liebe und die Achtung vor dem anderen stets eine Rolle spielen,
und, was das Wichtigste ist: man sollte die Meinung  des anderen
achten auch dann wenn man sie nicht akzeptieren kann.
Uns scheint, daß es vor allem wichtig ist sich gegenseitig an-
hören zu können ! Daß man die Meinungen und Geflogenheiten
des anderen respektiert und daß man in jeder Minute versucht
ihn zu verstehen. Dieses ist bei Menschen die sich lieben eine
Selbstverständlichkeit. Schwieriger wird es bei Verwandten
und Bekannten verschiedener Generationen. Dabei sollte sich
jeder ältere Mensch klarmachen, daß sein jüngerer Gesprächs-
partner nicht die Erfahrung seines Alters haben kann. Daß er auf
der anderen Seite aber vieles erlebt haben kann, was sogar dem
älteren Menschen nützlich sein kann oder Lücken seines Wissens
schließt ! Beide Partner sollten nicht vergessen, daß jedes Wort
ein Stein ihrer Erfahrungen ist.

 

Das Alter sollte bedenken, daß der jüngere Mensch, welcher in der Familie
aufwuchs, stets ein guter Beobachter des Alters war und bleiben wird.
Er bezieht ja seine Theorie einzig aus dem Zusammenleben mit der älteren
Generation. Hinzu kommen die Erfahrung der inneren Zwiespälte,
Hoffnungen und Gefühle und die äußeren Erfahrungen bei den Konfronta-
tionen im Beruf, in der Ehe und am Feierabend. Insofern liegt beim
jüngeren Menschen ein bedeutend weiterer Kreis der Beeinflussung
vor, während im Alter eine zunehmend engere Gasse der Eindrücke
durchschritten wird. Hierbei entsteht leicht die Gefahr einer Verhärtung
der Meinungen im Alter. Und hieraus ergeben sich bei Diskussionen
zwischen den Generationen Konflikte, welche nur mit unbedingter
Toleranz des einen gegen den andern zu überbrücken sind und zu für
beide Teile fruchtbaren Lösungen führen werden.
Wie ich anfangs schon sagte, sollte die Achtung vor der Persönlichkeit
des andern, gleich welcher Generation er angehört, stets die wichtigste
Rolle spielen. Beide Partner sollten stets über den Dingen stehen, über
welche sie sprechen. Sie sollten die Meinung des anderen niemals
als gegen sich selbst gerichtet auffassen.
Darum ist wohl die erste Bedingung jeder Unterhaltung, jedes Gespräches,
jeder Diskussion, daß man die Form wahrt und niemals den andern
konfrontiert oder beleidigt.
lassen wir uns nie vergessen, daß Jugend und Alter eine gemeinsame Auf-
gabe haben: die stetige Bemühung um gegenseitiges Verstehen, die
tätige Liebe im Alltag und die tägliche Bekräftigung der Wunsch-
gedanken für das Wohl des anderen. Nur dann, wenn Toleranz und
Kompromißbereitschaft gleichermaßen Jugend und Alter beseelen,
können die Generationen glücklich zusammenleben.