Ansichten eines mündigen
Bürgers
Bald werden sie wieder verschwinden : die
beschmierten, zerfetzten oder ausgewechselten millionenkostenden Konterfeis der
Bürgermeister, Land und Stadträte, Parteivorsitzenden, Minister oder des
Bundeskanzlers, welche uns auf Pappschildern aufgeklebt und an Brückenpfeilern,
Gartenzäunen oder Laternenpfählen mit Sprüchen wie Laßt uns endlich zu Taten
schreiten!", Wir schaffen es!", Wir wissen, was getan werden
muß!" oder Wir brauchen den Wechsel!" auch an den Straßenecken ihre
Parolen entgegenlächeln oder mit ernstem Gesicht wissen lassen.
Die Wahlbusse sind wieder ihrer Bemalung ledig und ihrer alten Bestimmung übergeben und
die Podeste in den Gemeinden und Städten wurden abgebaut. Die Fans der jeweiligen
Parteiredner wissen endlich : dass ihre Sprecher die einzigen und besten Lösungen aller
Probleme in den Taschen haben. Die jeweils regierende Partei und deren Koalitionspartner
machen immer das Falsche und der jeweilige Bundeskanzler wurde wiederholt zum sofortigen
Rücktritt aufgefordert, obwohl er gemäß seines Eides bei seinem Amtsantritt feierlich
gelobte: Schaden vom Volk fernzuhalten mit Gottes Hilfe oder auch ohne sie. Die
Bodyguards hatten alle Augenblicke wachsam zu sein, wenn ihre Schutzbefohlenen sich dem
Volke näherten, um den hinter den Absperrungen Stehenden kurz die Hände zu schütteln
oder Kinder Blumen überreichen durften und Mütter und Väter gestehen konnten: dass
diese Augenblicke des Gegenüberstehens mit dem Erwählten der schönste Tag in
ihrem Leben" war. Denn er hat endlich wieder ihre Meinung" gesagt:
zynisch oder seine Lautstärke mit eindringlichem Gestikulieren unterstreichend. Das alles
wurde vorher genau einstudiert und jedes Wort, jeder Satz von den Schreibern der Reden
sorgfältig auf seine Wirkung abgestimmt. Hier waren meist massive und aggressive Gesten
und Sätze vor dem auserwählten Kreis Gleichgesinnter zu hören.
Es waren bewegende Stunden" die, oft durch die Erhebung von Eintrittsgeld, zur
Aufbesserung der Parteikasse, das Erlebnis noch erhöhten dabeigewesen zu sein : als
Delegierter, Plakathochhalter oder Sympathisant, welcher genau spürte, wann er als
meine Damen und Herren" oder als Genosse" oder liebe
Freunde" angesprochen, sich in den Kreis der applausbeginnenden
Mitkämpfer" einzureihen hatte.
Dabei wurden die angesprochenen Probleme doch schon Monate oder Jahre vorher durch die
Medien bekanntgemacht oder in den Fachausschüssen von allen Seiten durchleuchtet und
diskutiert, ebenso wie in den Debatten im Bundestag, oft vor fast leerem Hohen Hause,
Kernthemen wie Schuld an der hohen Arbeitslosigkeit, Gesundheitsreform, Steuerreform, die
Zuwanderung und Integrierung von Ausländern u.a.m. werden noch einmal breitgetreten und
wehe dem Bürger, der es wagt dem Redner zu widersprechen : er würde mit Sicherheit der
Veranstaltung verwiesen.
So bleibt auch im Wahlkampf , welch unsolidarisches Wort !, jede Partei unter sich und die
4% der wahlberechtigten Bevölkerung, die ein Parteibuch trägt, achtet streng darauf,
dass ihre Schäflein stets auf dem vorgeschriebenem Weg bleiben. Immer wieder wird die
Angst geschürt und Unsicherheit produziert.
Der mündige Bürger weiß aus eigener Erfahrung: dass wegen unvorhergesehener Ereignisse
und durch politische Fehlentscheidungen viele vorgenommene Pläne nicht ausgeführt werden
können. Dass man ihm aber immer wieder neue unglaubwürdige Versprechungen macht und mit
seinem kleinen Denkvermögen und Gedächtnisverlust rechnet, ist eine Beleidigung seines
gesunden Menschenverstandes. Jede Partei sollte erst einmal dafür sorgen, dass der
Bürger in Sicherheit leben und arbeiten kann. Kriminelle müssen ihrer Vergehen
entsprechend bestraft werden und im Wiederholungsfall keine Möglichkeit für ihre Taten
bekommen. Wirtschaftsverbrechen und Korruptionen müssen aufgedeckt und mit aller Härte
des Gesetzes geahndet und rücksichtslose Betriebsbosse nach ihrem Ausscheiden nicht noch
mit Abfindungen in Millionenhöhe belohnt werden.
Jeder Euro wurde vom Volk erarbeitet und gehört deshalb wieder in seine Hände und auch
nicht als Millionengewinn für ein paar Fragen, die im Fernsehen oder anderswo richtig
beantwortet wurden, in die Hände Einzelner. Es gibt genug Hungernde und Leidende auf der
Welt, wo sie aus ethnischen und moralischen Gründen dankbar angenommen würden! Die
Abgeordneten können es kaum erwarten sich demnächst wieder ihre Diäten zu erhöhen.
Auch die Empfänger der Riesterrente, Hartz IV und die vielen Rentner erwarten mit
Freude" die kommenden Preiserhöhungen, ohne dass ihre Renten steigen. Dank auch den
Gewerkschaften, dass sie sich stets für eine Lohn Preisspirale und immer eine
kürzere Arbeitszeit einsetzten und dadurch das Wirtschaftswunder begraben haben. Es ist
noch vieles kritisch anzumerken. Aber zunächst freuen wir uns darauf : als schreib
und lesekundige Wähler unsere Kreuzchen machen zu dürfen.